Abstract
Zweck der Forschung. Zahlreiche Studien haben über Komorbiditäten, sich überschneidende Symptome und gemeinsame Risikofaktoren bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), oppositioneller Trotzstörung (ODD) und Verhaltensstörung (CD) berichtet. Wir stellen drei männliche Jugendliche im Alter von 13-16 Jahren mit Verhaltensstörungen vor, die in der Vergangenheit bereits an ADHS und ODD litten. Wichtigstes Ergebnis. Das Symptomprofil, insbesondere in den Bereichen Aggression, Feindseligkeit und Emotionalität, sowie die Art des Übergangs von ADHS zu ODD und CD in den oben genannten Fällen zeigen ein ähnliches Muster. Schlussfolgerung. Diese gemeinsamen Entwicklungspfade und sich überschneidenden Symptome legen die Möglichkeit eines gemeinsamen psychopathologischen Spektrums nahe, das die drei externalisierenden Störungen umfasst.
1. Einleitung
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), oppositionelles Trotzverhalten (ODD) und Verhaltensstörung (CD) sind drei der häufigsten Verhaltensstörungen im Kindes- und Jugendalter, die etwa 1-15 % aller Kinder im Schulalter betreffen und einen Großteil der Überweisungen an psychiatrische Kliniken ausmachen. In zahlreichen Studien wurde über Komorbiditäten zwischen diesen Störungen berichtet, sowohl in epidemiologischen als auch in klinischen Stichproben, was es oft schwierig macht, sie einzeln zu isolieren und zu verstehen. In den folgenden Fallberichten haben wir ein ähnliches Entwicklungsmuster dieser Störungen festgestellt. Die Diagnosen wurden von erfahrenen Psychiatern unter Verwendung des Structured Clinical Interview Schedule for the Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders gestellt, nachdem die Zustimmung der Betroffenen und ihrer Angehörigen unter Wahrung der Anonymität und unter Berücksichtigung ethischer Erwägungen eingeholt worden war. Drei jugendliche Patienten stellten sich mit Symptomen vor, die auf eine Verhaltensstörung hindeuten, mit einer Vorgeschichte, die auf eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und eine oppositionelle Trotzstörung gemäß dem Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen (DSM-IV TR) hindeutet.
2. Fall 1
Ein 14-jähriger Schüler der neunten Klasse wurde mit Beschwerden über Aggressivität, Ungehorsam, Stehlen, Lügen, Schulschwänzen, häufige Prügeleien in der Schule und sich verschlechternde Schulnoten in den letzten drei Jahren vorgestellt. In den letzten 6 Monaten war er reizbar geworden, hatte wegen Kleinigkeiten Wutanfälle bekommen, verbrachte lange Stunden in Internetcafés und erholte sich mit Gleichgesinnten in Restaurants. Er weigerte sich, die Schule zu besuchen, und erledigte die von den Lehrern gestellten Aufgaben oft nicht, woraufhin sich die Schulbehörden wiederholt beschwerten. Er stahl Geld von seinen Eltern, die jedoch wegen seiner aggressiven Art nie eingriffen. Es gab keine Anzeichen für ein Hirntrauma oder Krampfanfälle.
Die Anamnese ergab Hyperaktivität zu Hause ab dem Alter von 3 Jahren und später Störungen der Aktivität und Aufmerksamkeit ab dem Alter von 4 Jahren während der ersten Schuljahre. Dies führte zu elterlichem Missbrauch in den Wachstumsjahren. Frühere Verordnungen ergaben die Diagnose ADHS-Kombinationstyp, die sich mit Verhaltenstherapie und elterlicher Beratung teilweise verbesserte. Die Behandlung wurde 2 Jahre später abgesetzt. Die Symptome traten 3-4 Jahre später erneut auf, mit zusätzlichem trotzigem Verhalten, häufigen Wutanfällen und der Weigerung, sich an Regeln in der Schule und zu Hause zu halten.
Die Familienanamnese ergab, dass der Vater Alkohol konsumierte und die Ehe der Eltern zerrüttet war.
Die Geburts- und Entwicklungsschritte waren normal; es gab keine Vorgeschichte von Fieberkrämpfen in seiner Kindheit.
Die Untersuchung des mentalen Zustands ergab eine zurückhaltende Haltung gegenüber dem Untersucher. Die Sprache war spärlich und der Affekt reizbar. Es konnten keine Denk- oder Wahrnehmungsstörungen hervorgerufen werden. Die höheren kognitiven Funktionen waren normal.
Elektroenzephalographie, MRT des Gehirns und Blutbiochemie (einschließlich Schilddrüsenprofil) waren normal.
Der mit der Wechsler-Intelligenzskala für Kinder (WISC-) IV getestete IQ lag bei 95 (normal).
Der Apperzeptionstest für Kinder (CAT) zeigte elterliche Deprivation und ein feindliches Umfeld.
Er wird mit Risperidon 3 mg vor dem Schlafengehen und Natriumvalproat 800 mg pro Tag in geteilter Dosierung zusammen mit einer Verhaltenstherapie behandelt. Bei der Nachuntersuchung nach 4 Wochen und 3 Monaten hat sich der Junge mäßig gebessert und die Behandlung wird fortgesetzt.
3. Fall 2
Ein 13-jähriger männlicher Schüler der achten Klasse stellte sich mit Problemen wie Unaufmerksamkeit, häufigem Fernbleiben von der Schule, Schulschwänzen, wiederholtem Versagen in der Klasse mit Schulverweis in der Vergangenheit, Mobbing von Mitschülern mit häufigen Kämpfen und Zerstörung von Schuleigentum, Diebstahl von Geld, zwanghaftem Surfen im Internet und Gewalttätigkeit bei Widerstand vor. Diese Symptome haben sich in den letzten 6 Monaten verschlimmert, obwohl er schon seit 2 bis 3 Jahren oppositionelles Verhalten in Form von Ungehorsam, Wutausbrüchen, Unhöflichkeit und Lernverweigerung zeigt. Er stahl auch Geld, um sich ausgefallene Dinge zu kaufen, und misshandelte die Mutter körperlich, wenn sie sich wehrte.
In der Vorgeschichte zeigte sich, dass das Kind seit seinem sechsten Lebensjahr hyperaktiv ist, was sich vor allem zu Hause bemerkbar machte. In der Folge gab es wiederholt Beschwerden aus der Schule über die Impulsivität und Unaufmerksamkeit des Kindes. Die sich allmählich verschlechternden schulischen Leistungen und das zunehmend trotzige und unkontrollierbare Verhalten machten eine psychiatrische Konsultation erforderlich, als das Kind etwa 9 Jahre alt war. Es wurde mit ADHS vom kombinierten Typ diagnostiziert und mit Methylphenidat 10 mg und einer Verhaltenstherapie behandelt, die 6 Monate später abrupt abgebrochen wurde.
Die Familienanamnese zeigt, dass die Mutter an einer rezidivierenden depressiven Störung mit Hypothyreose leidet und der Vater eine Bipolar-II-Störung hat. Beide nehmen Medikamente ein. Die Großmutter väterlicherseits und der Onkel leiden ebenfalls an einer unbehandelten bipolaren Störung.
Geburts- und Entwicklungsanamnese sind normal, keine Fieberkrämpfe in der Vorgeschichte.
Die Untersuchung des Geisteszustandes ergab eine erhöhte psychomotorische Aktivität, Impulsivität und offensichtliche Unruhe. Subjektiv gab der Patient eine gedrückte Stimmung an, obwohl er im Affekt reizbar war. Aufmerksamkeit und Konzentration waren beeinträchtigt.
Untersuchungen waren normal. Der IQ (WISC-IV) lag bei 90 (normal).
Das CAT zeigt Feindseligkeit und Aggressivität gegenüber Autoritätspersonen.
Er wird derzeit mit Atomoxetin 25 mg pro Tag behandelt. Seit kurzem wird er zusätzlich mit Risperidon 2 mg pro Tag behandelt, da sein gewalttätiges Verhalten und seine Verhaltensprobleme ausgeprägter geworden sind. Außerdem wird eine Verhaltenstherapie zusammen mit elterlicher Beratung durchgeführt. Bei den nachfolgenden Besuchen hat sich der Junge deutlich gebessert.
4. Fall 3
Ein 16-jähriger Schüler der IX. Klasse wurde wegen Diebstahls von Geld, exzessivem Lügen, Inbrandsetzen von Haushaltsgegenständen, Hänseleien mit jungen Mädchen aus dem Ort, anzüglichen Bemerkungen und obszönen Gesten behandelt. Der schleichende Beginn liegt 3 Jahre zurück und hat sich in den letzten 8 Monaten verschlimmert. In letzter Zeit hat er begonnen, Tabak, Cannabis und Alkohol zu konsumieren und mehr Zeit im Freien mit gleichgesinnten Freunden zu verbringen. Impulsivität und Unaufmerksamkeit führten zu einer Verschlechterung der schulischen Leistungen und einer zweimaligen Wiederholung der Noten. Weitere Schulberichte deuteten auf eine allmähliche Entwicklung trotziger Verhaltensweisen hin, wie z. B. offenes Missachten von Schulregeln, Schulschwänzen, Anstiftung von Mitschülern zu dummen Bemerkungen im Unterricht, respektloses Verhalten gegenüber Älteren, was schließlich zu häufigem Fernbleiben von der Schule führte, Umgang mit örtlichen Schlägern und gegenwärtige Verhaltensprobleme.
Die Vorgeschichte zeigt hyperaktives Verhalten seit dem Alter von 3 Jahren. Das Kind war von Kindheit an extrem unfallgefährdet und musste mehrmals ins Krankenhaus eingeliefert werden. In der Schule war er impulsiv und zappelig, störte seine Mitschüler und konnte sich beim Lernen nicht konzentrieren.
Der Patient wurde keiner Therapie unterzogen.
Die Familiengeschichte ist gestört; die Eltern haben sich getrennt und die Mutter hat wieder geheiratet. Die Beziehung zum Stiefvater war extrem feindselig und es gab häufige Konflikte zwischen den Familienmitgliedern.
Geburt und Entwicklungsschritte sind normal.
Die Untersuchung des mentalen Zustands zeigt Anzeichen von Ablenkbarkeit, Reizbarkeit und beeinträchtigter Aufmerksamkeit und Konzentration.
Blutbiochemie, EEG und MRT des Gehirns waren normal. Der IQ nach WISC-IV betrug 95 (normal).
Das CAT zeigt Vernachlässigung und Ignoranz seitens der Eltern, verbunden mit Feindseligkeit ihnen gegenüber.
Das Kind erhält derzeit Tab. Risperidon-4 mg täglich und es wird eine Verhaltenstherapie durchgeführt. Bei der Nachuntersuchung wurde festgestellt, dass es dem Patienten gut geht.
5. Diskussion
Die Entwicklungswege von ODD zu CD sind gut untersucht worden, wobei einige Forscher behaupten, dass ODD eine relativ gutartige diskrete Störung mit guter Prognose ist und dass ODD und CD einen unterschiedlichen Verlauf nehmen. Andere Studien gehen davon aus, dass die beiden Störungen hierarchisch miteinander verbunden sind, wobei ODD eine milde Form von CD ist und nur ein Teil der ODD-Fälle in CD übergeht. ODD erwies sich bei Kindern mit ADHS unabhängig vom Schweregrad der ADHS als signifikanter Vorläufer von CD im Jugendalter, wobei das CD-Risiko bei diesen Kindern dreimal so hoch war. Forscher, die die Rolle von ADHS-Symptomen und die spätere Entwicklung von CD untersuchten, stellten fest, dass ADHS zwar mit CD einhergehen kann, der Zusammenhang zwischen ADHS und CD jedoch weitgehend auf begleitende ODD zurückzuführen ist. In einer anderen Studie wurden zwei mit ADHS assoziierte ODD-Subtypen identifiziert: einer, der ein Prodromalstadium von CD ist, und ein anderer, der ein Subsyndrom von CD ist, aber wahrscheinlich nicht zu CD in späteren Jahren führt. Diese ODD-Subtypen weisen unterschiedliche Korrelate, Verläufe und Ergebnisse auf. Alle unsere Fälle weisen auf ein gemeinsames Muster von ADHS-Symptomen hin, die sich zu ODD und später zu CD entwickeln, wobei sich die Symptome in allen Stadien überschneiden.
Aus Zwillingsstudien ist bekannt, dass genetische Einflüsse bei der Entwicklung von ADHS-Symptomen wichtig sind, während sowohl Gene als auch gemeinsame Umwelteinflüsse (d. h. nicht genetische Einflüsse, die zur Ähnlichkeit der Zwillinge beitragen) bei der Entwicklung von ODD- und CD-Symptomen wichtig zu sein scheinen. Darüber hinaus haben Familienstudien gezeigt, dass ADHS, ODD und CD in Familien gemeinsam vererbt werden und somit eine gemeinsame familiäre Ätiologie zu haben scheinen. Genetische Studien deuten auch darauf hin, dass CD am stärksten mit der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung – hyperaktiv-impulsiv (ADHS-HI) mit einer gemeinsamen genetischen Heritabilität von 37 % verbunden war, während ODD ebenfalls stark mit der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung – hyperaktiv-impulsiv (ADHS-HI) mit einer Heritabilität von 42 % verbunden war. Beide wiesen geringere Korrelationen mit dem kombinierten ADHS-Typ und dem unaufmerksamen ADHS-Typ auf. In allen Fällen wurde in der Vorgeschichte ein kombinierter bzw. hyperaktiver Subtyp von ADHS in der Kindheit festgestellt. Was die Symptomatik anbelangt, so sind Verhaltensprobleme in Verbindung mit Gemütssymptomen ein gemeinsames Merkmal dieser Störungen. Frühere Studien, in denen die selbstberichtete Ausprägung offener aggressiver Verhaltensweisen und verdeckter emotionaler und kognitiver Prozesse bei Jugendlichen untersucht wurde, bei denen in der Kindheit ADHS und komorbide störende Verhaltensstörungen diagnostiziert wurden, haben gezeigt, dass emotionale Dysregulation neben Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität eine wichtige Komponente von ADHS ist. Dies zeigt sich auch in unserem zweiten Fallbericht.
Es scheint also, dass es zwar bedeutsame Unterschiede zwischen ADHS, ODD und CD gibt, vor allem in Bezug auf ihre Korrelate und Ergebnisse, aber die Beobachtung ihrer gemeinsamen Anfälligkeiten deutet darauf hin, dass sie das gleiche Haftungsrisiko haben, das entweder genetisch, umweltbedingt oder durch eine Kombination beider Faktoren bedingt sein könnte. In Anbetracht dieser gemeinsamen Risikofaktoren sowie der sich überschneidenden Symptome, insbesondere in den Bereichen Aggression, Feindseligkeit und Emotionalität, könnte der Entwicklungsweg von ADHS zu ODD und CD in den oben genannten Fällen die Möglichkeit eines gemeinsamen psychopathologischen Spektrums aufwerfen. Dies muss mit größeren Stichproben und detaillierten Studien weiter geklärt werden.