Viele Bürger vertreten in wirtschaftlichen Fragen linke und in kulturellen Fragen rechte Positionen, aber nur wenige Parteien tun dies. Wie reagieren diese „links-autoritären“ Bürger auf das Fehlen von Parteien, die ihren Ansichten entsprechen? Auf der Grundlage einer neuen Studie berichten Sven Hillen und Nils Steiner, dass linksautoritäre Bürger seltener zur Wahl gehen, weniger zufrieden mit der Demokratie sind und ein geringeres Vertrauen in politische Institutionen haben, wenn es keine lebensfähige linksautoritäre Partei gibt.
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Politik wird oft mit Begriffen wie „links“ und „rechts“ beschrieben. Doch viele Bürgerinnen und Bürger folgen keiner kohärenten Links-Rechts-Ideologie, sondern sind bei einigen Themen links und bei anderen rechts. Wenn keine Partei ihren gemischten Ansichten zu wichtigen politischen Themen entspricht, fällt es diesen Bürgern schwer, zwischen den politischen Parteien zu wählen. Das kann dazu führen, dass sie von der Politik frustriert sind und gar nicht mehr wählen gehen.
In Westeuropa und darüber hinaus gibt es insbesondere viele Bürger, die linke Ansichten zu wirtschaftlichen Fragen mit rechten oder „autoritären“ Positionen zu kulturellen Fragen verbinden. Diese „Linksautoritären“ befürworten Umverteilung und Marktregulierung. Sie legen jedoch auch Wert auf eine konservative Moral, kulturelle Konformität und stehen der Einwanderung kritisch gegenüber. Wie Politikwissenschaftler, die sich mit dem „Autoritarismus der Arbeiterklasse“ befassen, schon vor langer Zeit festgestellt haben, ist die Kombination solcher Ansichten besonders häufig bei Mitgliedern der Arbeiterklasse anzutreffen.
Das Fehlen linksautoritärer Parteien
Doch die politischen Parteien in Westeuropa haben nur selten eine linksautoritäre Position vertreten. Dies wird in Abbildung 1 veranschaulicht. Die Abbildung zeigt die Positionen der Parteien in einem zweidimensionalen politischen Raum, der aus einer wirtschaftlichen und einer kulturellen Konfliktachse in 14 westeuropäischen Ländern im Jahr 2006 besteht. Wir haben diese Positionen auf der Grundlage einer Expertenbefragung unter Wissenschaftlern politischer Parteien berechnet. Der obere linke Quadrant steht für wirtschaftlich linke und kulturell autoritäre Positionen. In der Mehrheit der Länder (8 von 14) ist dieser links-autoritäre Quadrant völlig leer. Außerdem haben die Parteien, die im linksautoritären Quadranten angesiedelt sind, in der Regel nur wenige Sitze im Parlament (wie die Größe der Kreise zeigt). Außerdem sind sie eher gemäßigt auf mindestens einer der beiden Dimensionen als entschieden links-autoritär.
Abbildung 1: Positionen der politischen Parteien im zweidimensionalen politischen Raum 2006
Links-autoritäre Bürger befinden sich also oft in der eingangs beschriebenen Situation: Da keine politische Partei ihre spezifische Kombination von Einstellungen vertritt, müssen sie bei der Wahl einer Partei Kompromisse eingehen. Sie müssen entweder ihre wirtschaftlichen oder ihre kulturellen Anliegen bevorzugen, während sie das andere opfern. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wahlentscheidungen der Linksautoritären davon abhängen, welche Themen für sie von Bedeutung sind. Anknüpfend an diese Forschung interessierten wir uns für die Folgen für die Wahlbeteiligung und die Zufriedenheit mit der Politik. Wir vermuteten, dass Linksautoritäre aufgrund der Lücke im Parteienangebot weniger an Wahlen teilnehmen und weniger zufrieden mit der repräsentativen Demokratie und ihren Institutionen sind.
Folgen für die Wahlbeteiligung und die politische Zufriedenheit
Um dies zu untersuchen, wandten wir uns an die paneuropäische Meinungsumfrage European Social Survey (ESS) aus dem Jahr 2008. Sie umfasst Daten aus 14 westeuropäischen Ländern. In der Umfrage wurde nach der Beteiligung an der letzten nationalen Wahl, der Zufriedenheit mit der Demokratie und dem Vertrauen in verschiedene politische Institutionen gefragt. Wir untersuchten, wie verschiedene Positionen im zweidimensionalen politischen Raum mit diesen Ergebnissen verbunden sind, während wir eine Reihe von Faktoren kontrollierten, die die Wahlbeteiligung und die politische Zufriedenheit beeinflussen.
Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse unserer statistischen Analyse. Die Abbildung zeigt, wie die Positionierung in den vier verschiedenen Quadranten des politischen Raums die Wahlbeteiligung und die politische Zufriedenheit beeinflusst. Zum Verständnis der Abbildung ist zu beachten, dass die Effekte in Bezug auf die Gruppe der Bürger interpretiert werden müssen, die sich in der Mitte des politischen Raums befindet. Im Vergleich zu dieser Referenzgruppe haben die linksautoritären Bürger eine geringere Wahrscheinlichkeit, an nationalen Wahlen teilzunehmen. Die anderen drei Gruppen heben sich nicht von der Referenzgruppe ab. Ebenfalls erwartungsgemäß sind Linksautoritäre weniger zufrieden mit der Demokratie und haben weniger Vertrauen in Politiker, Parteien und Parlamente als alle anderen Gruppen.
Abbildung 2: Auswirkungen verschiedener Einstellungskombinationen auf die Wahlbeteiligung und die politische Zufriedenheit
Anmerkung: Das Diagramm zeigt die Auswirkungen einer Positionierung in einem der vier Quadranten (mit 95- und 83-prozentigen Konfidenzintervallen, die statistische Unsicherheit anzeigen) im Vergleich zu Personen, die in mindestens einer Dimension eine zentristische Position vertreten. Für die Wahlbeteiligung zeigt das Diagramm die (durchschnittliche marginale) Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit, wählen zu gehen. Die anderen Schätzungen zeigen die Auswirkungen auf die Zufriedenheit mit der Demokratie und das Vertrauen, gemessen auf einer Skala von 0 bis 10. Weitere Informationen finden Sie in der begleitenden Publikation der Autoren im European Journal of Political Research.
Eine interessante zusätzliche Beobachtung ist, dass rechtsautoritäre Bürger (d.h. solche mit wirtschaftlich und kulturell rechten Ansichten) ebenfalls unzufriedener sind als solche aus der Mitte. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass autoritäre Positionen von den konkurrierenden Parteien generell schlechter vertreten werden. Rechtsradikale Parteien als deren schärfste Verfechter sind heute in vielen Parlamenten vertreten, aber oft isoliert und in der Opposition. Dies könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass autoritäre politische Einstellungen von autoritären Persönlichkeitsmerkmalen und Werten geprägt sind, die an sich schon zu einer negativen Bewertung der Demokratie und ihrer Institutionen beitragen. In jedem Fall ist es so, dass Linksautoritäre noch unzufriedener sind als Rechtsautoritäre. Wir führen diesen Unterschied auf die links-autoritäre Versorgungslücke zurück. Die Ergebnisse zum Rechtssystem in Abbildung 2 unterstützen diese Interpretation: Autoritäre haben weniger Vertrauen in diese nicht-politische Institution als Libertäre, aber es gibt keinen Unterschied zwischen Links- und Rechtsautoritären in dieser Hinsicht.
Der Aufstieg der Finnenpartei
Wir haben eine Fallstudie über den Aufstieg der Finnenpartei anhand von Daten aus der finnischen Nationalen Wahlstudie durchgeführt, um zu zeigen, dass die geringere Wahlbeteiligung und politische Zufriedenheit der Linksautoritären tatsächlich vom Fehlen einer erfolgreichen linksautoritären Partei abhängt. Die Finnenpartei (früher bekannt als Wahre Finnen, siehe PS für „Perussuomalaiset“ in Abbildung 1) ist eine der wenigen Parteien in Westeuropa, die eine entschieden links-autoritäre Position vertritt. Wir haben uns den Durchbruch der Partei bei den finnischen Parlamentswahlen 2011 zunutze gemacht, bei denen sie ihren Stimmenanteil im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen im Jahr 2007 verfünffachen konnte (von 4,1 % auf 19,1 %).
Wir haben festgestellt, dass der negative Zusammenhang zwischen linksautoritären Positionen und der Wahlbeteiligung sowie der politischen Zufriedenheit mit dem Durchbruch der Partei bei den Wahlen weitgehend abgenommen hat. Die wichtigsten Ergebnisse sind in Abbildung 3 dargestellt, in der wir Linksautoritäre mit Personen mit anderen Kombinationen von Themenpositionen vergleichen. In Bezug auf die Wahlbeteiligung wurde 2007 ein negativer Effekt der Kombination aus linker und autoritärer Einstellung festgestellt. Im Jahr 2011 ist der Effekt statistisch nicht mehr von Null zu unterscheiden. Anstatt sich der Stimme zu enthalten, wählten die Linksautoritären dann eher die Wahren Finnen. Wir haben auch untersucht, ob die Wahlbeteiligung für den Einzelnen einen Unterschied macht – und kamen zu noch deutlicheren Ergebnissen. Während Linksautoritäre 2007 eher angaben, dass Wählen keinen Unterschied macht, war dies 2011 nicht mehr der Fall.
Abbildung 3: Auswirkungen der Kombination aus linksautoritärer Einstellung
Anmerkung: Das Diagramm zeigt die Auswirkungen einer Positionierung im linksautoritären Quadranten (mit 95- und 83-prozentigen Konfidenzintervallen, die auf statistische Unsicherheit hinweisen) im Vergleich zu Personen mit anderen Kombinationen von politischen Einstellungen. Die Auswirkungen zeigen, wie eine linke Einstellung zu wirtschaftlichen Themen und eine autoritäre Einstellung zu kulturellen Themen die Wahrscheinlichkeit der jeweiligen Ergebnisse beeinflusst. Weitere Informationen finden Sie in der begleitenden Veröffentlichung der Autoren im European Journal of Political Research.
Weitere Lehren
Unsere Forschung zeigt, dass Bürger mit wirtschaftlich linken und kulturell rechten Ansichten weniger wählen und mit der Politik weniger zufrieden sind, wenn keine wählbare Partei ihre Ansichten sowohl in wirtschaftlichen als auch in kulturellen Fragen gut vertritt. Die Parteien wiederum können Anreize haben, sich in Richtung dieser Wähler zu bewegen, um deren Stimmen zu gewinnen, und sie können ihre politischen Vorschläge mit einem populistischen Ton kombinieren, der die politische Unzufriedenheit dieser Bürger anspricht. In der Tat haben einige der rechtsradikalen Parteien in Europa in den letzten Jahren eine linksgerichtete Rhetorik und wirtschaftspolitische Vorschläge übernommen, wohl in dem Versuch, die Wähler aus der Arbeiterklasse besser anzusprechen, die in kulturellen Fragen oft rechts und in wirtschaftlichen Fragen links stehen.
Über diesen speziellen Fall hinaus beleuchtet unsere Forschung eine grundlegende Herausforderung für die repräsentative Demokratie. Wenn den Wählern mehrere Themen wichtig sind und sie ihre Positionen zu diesen Themen anders kombinieren als eine der Parteien, kann Frustration über das Parteienangebot und die Politik im Allgemeinen entstehen. Diese Herausforderungen könnten auch in der aktuellen britischen Politik bestehen, wo es für die Wähler nicht einfach ist, ihre Präferenzen zum Brexit und anderen Themen, die ihnen wichtig sind, durch eine einzige Abstimmung auszudrücken.
Dieser Artikel gibt die Ansichten der Autoren wieder und nicht die Position von Democratic Audit. Er stützt sich auf den Zeitschriftenartikel „The consequences of supply gaps in two-dimensional policy spaces for voter turnout and political support: The case of economically left-wing and culturally right-wing citizens in Western Europe‘ im European Journal of Political Research.
Über die Autoren
Sven Hillen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politikwissenschaft, Vergleichende Politikwissenschaft, an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland.
Nils Steiner ist Postdoktorand am Fachbereich Politikwissenschaft, Vergleichende Politikwissenschaft, an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.