Künstlerisches Konzept eines Regenwaldes in der heutigen Westantarktis. Bild: James McKay/Alfred-Wegener-Institut.
Wissenschaftler haben Überreste eines sumpfigen gemäßigten Regenwaldes entdeckt, der vor etwa 90 Millionen Jahren in der Antarktis gedieh. Sie waren überrascht, fossile Überreste dieses Waldes in einer Sedimentkernprobe zu finden, die im Februar 2017 vom Meeresboden in der Amundsen-See vor der Küste der Westantarktis entnommen wurde. Diese Probe enthielt alten Waldboden mit einer Fülle von versteinerten Pflanzenpollen und -sporen. CT-Scans zeigten ein dichtes Netz versteinerter Pflanzenwurzeln. Das Erstaunliche an dieser Entdeckung ist ihre Lage. Vor neunzig Millionen Jahren war dieser westantarktische Wald nur 560 Meilen (900 km) vom damaligen Südpol entfernt. Dennoch herrschte dort ein überraschend mildes Klima.
Die Wissenschaftler vermuten, dass diese milden Bedingungen – eine jährliche Durchschnittstemperatur von etwa 54 Grad Fahrenheit (12 Grad Celsius) – möglich waren, weil es in der Antarktis keine bedeutende Eisdecke gab. Es scheint, dass die Kohlendioxidkonzentration viel höher war als bisher angenommen. Die Ergebnisse wurden in der Ausgabe vom 1. April 2020 der von Fachleuten begutachteten Zeitschrift Nature veröffentlicht.
Seit der Entstehung der Kontinente haben sie sich über große Zeiträume hinweg gegeneinander verschoben. Diese Karte zeigt, wie einige von ihnen vor 90 Millionen Jahren auf der südlichen Hemisphäre positioniert waren. Das weiße Pluszeichen zeigt die Lage des Südpols und das rote X die Lage der Kernprobe. Bild: Alfred-Wegener-Institut.
Die Bohrkernprobe mit fossilem Waldboden aus der Kreidezeit wurde in der Nähe des Pine Island Glacier in der Westantarktis mit einem tragbaren Meeresboden-Bohrgerät entnommen, das vom Forschungsschiff RV Polarstern aus betrieben wurde. Johann Klages, Geologe am Alfred-Wegener-Institut und Erstautor der Studie, kommentiert die Probe in einer Stellungnahme:
Bei den ersten Untersuchungen an Bord fiel uns schnell die ungewöhnliche Färbung der Sedimentschicht auf, die sich deutlich von den darüber liegenden Schichten unterschied. Außerdem deuteten die ersten Analysen darauf hin, dass wir in einer Tiefe von 27 bis 30 Metern unter dem Meeresboden eine Schicht gefunden hatten, die ursprünglich an Land und nicht im Ozean entstanden war.
In der Einsatzzentrale an Bord des RV Polarstern bedienen zwei Piloten das tragbare Meeresboden-Bohrgerät. Image via T. Ronge/ Alfred-Wegener-Institut.
Eine weitere Überraschung folgte, als die Wissenschaftler die Probe einem Röntgen-CT-Scan unterzogen. Auf den CT-Bildern war ein dichtes Wurzelgeflecht zu sehen, das so gut erhalten war, dass einzelne Zellstrukturen zu erkennen waren. Im feinkörnigen Lehm und Schluff der Waldbodenschicht fanden die Forscher versteinerte Pollen und Sporen von Pflanzen, darunter einige der ersten Blütenpflanzen, die jemals in so hohen südlichen Breitengraden gefunden wurden.
CT-Scan des Sedimentkerns – Antarktischer Regenwald from Northumbria University on Vimeo.
Ulrich Salzmann, von der Northumbria University, bemerkte:
Die zahlreichen Pflanzenreste deuten darauf hin, dass die Küste der Westantarktis vor 93 bis 83 Millionen Jahren eine sumpfige Landschaft war, in der gemäßigte Regenwälder wuchsen – ähnlich den Wäldern, die noch heute beispielsweise auf der Südinsel Neuseelands zu finden sind.
Wie konnte ein gemäßigter Regenwald auf etwa 82 Grad südlicher Breite existieren, 560 Meilen (900 Kilometer) von der Lage des Südpols vor 90 Millionen Jahren entfernt, wo der Wald jedes Jahr während der viermonatigen Polarnacht im Dunkeln gelegen hätte?
In den letzten 140 Millionen Jahren war das wärmste Klima auf der Erde vor 115 bis 80 Millionen Jahren. Aus früheren Studien wissen die Wissenschaftler, dass die Oberflächentemperaturen der tropischen Meere bis zu 35 Grad Celsius (95 Grad Fahrenheit) betragen konnten und der Meeresspiegel 170 Meter (560 Fuß) höher lag als heute. Dieser neue Sedimentkern war die erste Gelegenheit, das Klima der südlichen Polarregion während der mittleren Kreidezeit besser zu verstehen. Die Analyse erfolgte in mehreren Schritten. Klages sagte:
Um eine bessere Vorstellung vom Klima in dieser wärmsten Phase der Kreidezeit zu bekommen, haben wir zunächst die klimatischen Bedingungen untersucht, unter denen die heutigen Nachfahren der Pflanzen leben.
Dann analysierten die Wissenschaftler die Bodenprobe – auf der Suche nach biologischen und geochemischen Temperatur- und Niederschlagsindikatoren – um die Niederschlagsmengen sowie die Luft- und Wassertemperaturen im alten westantarktischen Regenwald besser zu verstehen.
Wissenschaftler bearbeiten die Sedimentkernprobe in einem Labor an Bord des Forschungsschiffs RV Polarstern. Bild über Alfred-Wegener-Institut.
Zusammengenommen geben diese Analysen einen ersten Einblick in das gemäßigte Klima, in dem dieser 90 Millionen Jahre alte sumpfige Regenwald einst gedieh; es gab mäßig viel Niederschlag (vergleichbar mit Wales, nach Angaben der Wissenschaftler etwa 41 Zoll). Die durchschnittliche jährliche Lufttemperatur betrug 54 Grad Fahrenheit (12 Grad Celsius). Im Sommer lag die Temperatur im Durchschnitt bei 19 Grad Celsius (66 Grad Fahrenheit), und die Wassertemperatur in den Flüssen und Sümpfen erreichte 20 Grad Celsius (68 Grad Fahrenheit).
Nach Klimamodellen, die von den Wissenschaftlern durchgeführt wurden, könnten diese Bedingungen bestanden haben, wenn die Antarktis dicht bewachsen war, wenig oder kein Eisschild vorhanden war und der Kohlendioxidgehalt höher war als bisher angenommen. Gerrit Lohmann, Klimamodellierer am Alfred-Wegener-Institut, kommentiert:
Vor unserer Studie ging man allgemein davon aus, dass die globale Kohlendioxidkonzentration in der Kreidezeit etwa 1000 ppm betrug. In unseren modellbasierten Experimenten wurden jedoch Konzentrationen von 1120 bis 1680 ppm benötigt, um die damaligen Durchschnittstemperaturen in der Antarktis zu erreichen.
Die Wissenschaftler Tina van de Flierdt und Johann Klages untersuchen die Kernprobe aus der Amundsen-See vor der Westantarktis. Image via T. Ronge/ Alfred-Wegener-Institut.
Diese Ergebnisse verdeutlichen den starken Einfluss von Kohlendioxid auf den Planeten und die Bedeutung der polaren Eisschilde für die Kühlung des Planeten. Torsten Bickert, Geowissenschaftler an der Universität Bremen, sagt:
Wir wissen jetzt, dass es in der Kreidezeit leicht vier Monate am Stück ohne Sonnenlicht geben konnte. Aber weil die Kohlendioxid-Konzentration so hoch war, herrschte rund um den Südpol trotzdem ein gemäßigtes Klima ohne Eismassen.
Eine entscheidende Frage bleibt aber: Wie kühlte sich die Erde anschließend ab und brachte die Eisschilde zurück? Laut Lohmann konnten ihre Klimasimulationen diese Frage nicht beantworten; zu verstehen, wie es zu dieser Abkühlung kam, wird ein wichtiges Forschungsgebiet für Klimaforscher sein.
Das tragbare Meeresbodenbohrgerät an Bord des Forschungsschiffs RV Polarstern. Bild über Alfred-Wegener-Institut.
Untere Zeile: Die Analyse von fossilen Überresten eines 90 Millionen Jahre alten Regenwaldes, die in einer Sedimentkernprobe aus der antarktischen Amundsen-See entdeckt wurden, weist auf ein überraschend mildes Klima hin. Klimamodelle deuten darauf hin, dass dies möglich war, weil es am Südpol kaum Eisschichten gab und die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre sehr hoch war.
Via Alfred-Wegener-Institut
Quelle: Gemäßigte Regenwälder in der Nähe des Südpols während des Höhepunkts der Kreidezeit
Shireen Gonzaga ist freiberufliche Schriftstellerin, die gerne über Naturgeschichte schreibt. Außerdem arbeitet sie als technische Redakteurin in einem astronomischen Observatorium, wo sie an der Dokumentation für Astronomen arbeitet. Shireen hat viele Interessen und Hobbys, die mit der Natur zu tun haben. Sie lebt in Cockeysville, Maryland.