11.15.1 Einleitung
Die endokrine Bauchspeicheldrüse steuert den Blutzuckerspiegel durch die Ausschüttung der Polypeptidhormone Insulin und Glukagon. Diese Hormone haben gegensätzliche Wirkungen, wobei Insulin die Glukoseaufnahme und -verwertung durch das Gewebe fördert und Glukagon die Glykogenolyse und Glukoneogenese unterstützt. Eine abnorme Regulierung des Blutzuckerspiegels, die zu einer Hyperglykämie führt, ist ein Merkmal von Diabetes, einer vielschichtigen Krankheit, die durch Funktionsstörungen des endokrinen Pankreas, insbesondere der Insulin-sezernierenden Zellen, gekennzeichnet ist. Die Krankheit nimmt in der Regel eine von zwei Formen an, den insulinabhängigen Diabetes mellitus (IDDM oder Typ 1) und den nicht insulinabhängigen Diabetes mellitus (NIDDM oder Typ 2). Typ 1 ist in der Regel auf eine autoimmunbedingte Zerstörung der Insulin-sezernierenden Zellen zurückzuführen und/oder tritt oft schon in jungen Jahren auf. Bei Typ 2 ist die Funktion der Insulin-sezernierenden Zellen unzureichend und/oder die Insulinwirkung abnormal, und die Symptome treten erst im späteren Lebensalter auf (Bennett 1994). Eine unzureichende Funktion des endokrinen Pankreas, die zu einer Hyperglykämie führt, kann lebensbedrohlich sein, wenn die Störung schwer und akut ist. Häufiger ist ein unzureichend eingestellter Diabetes, bei dem die Hyperglykämie weniger schwerwiegend, aber chronisch ist und zu einer fortschreitenden Verschlechterung der Funktion einer Vielzahl von Geweben führt. Die Inzidenz von Morbidität und Mortalität aufgrund von Funktionsstörungen des endokrinen Pankreas ist hoch, insbesondere in den Industrieländern, was Diabetes zu einer der kostspieligsten chronischen Krankheiten macht.
Die Ätiologie sowohl des Typ-1- als auch des Typ-2-Diabetes hat eine ausgeprägte genetische Komponente, aber die verantwortlichen Gene sind noch nicht vollständig identifiziert. Auch eine Umweltkomponente spielt eine Rolle, wie Untersuchungen an eineiigen (monozygoten) und zweieiigen (nicht eineiigen) Zwillingen zeigen. Die Konkordanzrate für Diabetes bei eineiigen Zwillingen liegt unter 50 %, was auf eine starke Umweltkomponente in der Ätiologie der Krankheit hinweist (Leslie 1993; Warran et al. 1993). Die genetische Veranlagung für Diabetes kann als permissiv angesehen werden, d. h. sie erfordert eine auslösende Komponente aus der Umwelt. Ernährung, Viruserkrankungen und exogene chemische Substanzen können diese Rolle spielen, aber selten wird die auslösende Komponente identifiziert (Wilson und Ledoux 1989). Diese Situation ist derjenigen nicht unähnlich, die das Auftreten von Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen steuert.
Es ist bekannt, dass exogene chemische Substanzen die Insulin-sezernierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse bei Labortieren und beim Menschen selektiv schädigen können, und es wurden mehrere Berichte zu diesem Thema veröffentlicht (Assan und Larger 1993; Chang und Diani 1985; Fischer und Rickert 1975; Malaisse 1986; Pipeleers et al. 1988; Rerup 1970). Zwei der Chemikalien, von denen bekannt ist, dass sie die insulinproduzierenden Zellen selektiv zerstören, nämlich Alloxan und Streptozotocin (STZ), wurden in großem Umfang zur Schaffung von Tiermodellen für die Untersuchung des diabetischen Zustands und seiner Behandlung verwendet. Aufgrund unserer Kenntnisse über chemisch bedingte Schädigungen des endokrinen Pankreas liegt die Vermutung nahe, dass die Umweltexposition gegenüber bestimmten Chemikalien, einschließlich bestimmter Arzneimittel, bei der Auslösung einiger Fälle von Diabetes eine Rolle spielt. Das Ausmaß und die Art der Beteiligung von Chemikalien an der Krankheit sind jedoch nicht vollständig bekannt. Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Beschreibung der Toxikologie von Chemikalien, von denen bekannt ist, dass sie die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse selektiv schädigen. Es ist bekannt, dass die Zellen, die im endokrinen Pankreas Insulin produzieren und sezernieren, im Vergleich zu anderen hormonproduzierenden Zellen des Pankreas besonders empfindlich auf chemische Angriffe reagieren (Malaisse 1986). Es gibt relativ wenig Informationen über Chemikalien, die die Glucagon- oder Somatostatin-sezernierenden Zellen im endokrinen Pankreas schädigen, und es ist nicht ganz klar, warum diese Zellen im Vergleich zu den Insulin-sezernierenden β-Zellen widerstandsfähiger sind.
Ein Überblick über die physiologischen und biochemischen Aspekte der Funktionsweise des endokrinen Pankreas, insbesondere der Insulin-produzierenden Zellen, wird vorgestellt, um das Verständnis für die potenziellen Orte innerhalb der Hormon-sezernierenden Zellen für toxikologische Angriffe durch chemische Stoffe zu erleichtern. Anschließend werden die Informationen über den Mechanismus der Toxizität einer ausgewählten Gruppe von diabetogenen Chemikalien näher erläutert. Die vorgestellten Informationen stellen einen Kern des Wissens über die Toxikologie von Chemikalien dar, von denen bekannt ist, dass sie die Insulin-sezernierenden Zellen selektiv schädigen. Es wurde versucht, neuere Informationen bereitzustellen, und die großzügige Verwendung von Verweisen auf frühere Übersichten zu diesem Thema verweist den Leser auf die Einzelheiten älterer veröffentlichter Daten.