Ein Löffel Vanilleeis durchquert Ozeane der Geschichte. Halte den Löffel auf deiner Zunge. Überlege.

Heute könnte nichts weißer sein als Vanilleeis. Vanille bedeutet weiß. Es bedeutet langweilig, gewöhnlich, leer. Das Gegenteil von exotisch, es bedeutet faden, missionarischen Sex und schmuckloses, würzloses, praktisch geschmackloses Essen ohne Strudel oder Hitze. Vanille, farblos und gefühllos, ist der kaukasische Geschmack geworden: der Null-Geschmack der Null-Rasse.

Aber Null hat eine Geschichte. Wir vergessen heute, dass Vanille nicht immer weiß war. Wir vergessen auch, dass Vanille auch ein Gewürz ist, dessen Geschmack versteckt, reich und selten ist. Unter der heutigen weißen Vanille gibt es braune Vanille.

Die Pflanze selbst, eine Orchideenart, die in Mesoamerika wächst, ist braun, so braun wie die Kakaobohne, der Stammvater der Schokolade. Im 15. Jahrhundert nannten die Azteken die Pflanze „Schwarze Blume“, auch wenn die Blüten auf den heutigen Abbildungen der Extraktflaschen immer weiß sind. Aber die Blüten sind nicht das, was den Geschmack ausmacht. Dafür muss man tiefer blicken, unter ihre Hüllen, wo die Schoten lagern. Die Spanier nannten die Pflanze die Verkleinerungsform des Wortes Vaina, das sich von Vagina ableitet, jenem anderen Schatz, den die Konquistadoren für sich beanspruchten.

Als Cortes und seine Männer die einheimische Vanille probierten, lief ihnen das Wasser im Mund zusammen. Sie wollten mehr davon. Sie nahmen die Pflanze als Exotikum mit zurück auf ihren Kontinent. Exotisch, von außen betrachtet – aus der Sicht Europas. Das Hier der Vanille wurde zum Dort, das In-situ zum Outland.

Ferner als in ihrer Heimat gedieh die zarte, geheimnisvolle kleine Pflanze nicht. Sie widerstand der Verpflanzung. Sie brauchte ihre Heimat, auch weil die Vanillepflanze, trotz der zeitgenössischen Konnotationen, ein recht interessantes Sexualleben hat. Als Zwitter ist die Orchidee auf Fremdbestäubung angewiesen, eine Dienstleistung, die nur eine einheimische, für Mesoamerika spezifische Bienenart erbringen kann. In anderen heißen und feuchten kolonisierten Ländern könnte die Pflanze zwar wachsen, aber ohne ihre einheimische Kultur würde die Trans-Pflanze keine Früchte tragen.

¿Que se debe hacer?

Que peut-on faire?

Die Geschichte mit ungesüßter Ironie durchsetzend, löste ein 12-jähriger Sklave auf der von Frankreich verwalteten Insel Réunion im Indischen Ozean dieses Problem. Im Jahr 1841 entwickelte Edmond Albius eine Technik zur künstlichen Bestäubung der Pflanze von Hand. Diese bienenlose Bestäubungstechnik führte zur Entstehung großer Vanilleplantagen in den feuchtwarmen Klimazonen von Madagaskar, Indonesien und Tahiti, wo europäische Kolonisten Sklavenarbeit für die Produktion dieser sehr arbeitsintensiven Ware einsetzen konnten.

Mit dem Ende der (legalen) Sklaverei trat die westliche Wissenschaft auf den Plan. „Fortschritt“ geschah. Chemiker zerlegten das Gewürz in seine einzelnen Moleküle und bezeichneten den wichtigsten Bestandteil als Vanillin. Als Nächstes wurden Techniken entwickelt, um Vanillin im Labor zu reproduzieren und es dann in Massenproduktion kostengünstig herzustellen. Heute wird ein Großteil des Vanillins aus einem Nebenprodukt der Papierpulpe synthetisiert. Sie können künstliche oder imitierte Vanille – in klarem Ethylalkohol suspendiertes Vanillin – sehr billig kaufen. Dieser Zusatzstoff ist so billig, dass er allen möglichen Lebensmitteln beigemischt wird, um den Geschmack zu verstärken. Vanillin ist der häufigste dieser „künstlichen Aromen“, die unsichtbar hinter anderen Aromen stehen. Wir schmecken es ständig, ohne es zu wissen – so oft, dass wir aufgehört haben, es zu schmecken. Der „Fortschritt“ hat Vanille weiß, allgegenwärtig, dominant und unauffällig gemacht.

Aber echte Vanille besteht nicht nur aus Vanillin. Sie besteht aus Hunderten von Verbindungen, die im Mund miteinander interagieren. Der Unterschied zwischen synthetischem Vanillin oder künstlicher Vanille und echter Vanille ist der Unterschied zwischen Aroma und Geschmack.

In letzter Zeit haben einige Verbraucher begonnen, natürliche Vanille anstelle von synthetischem Aroma zu verlangen. Sie wollen die ganze Schote mit ihren verräterischen schwarzen Flecken und nicht ihren synthetischen, farblosen oder künstlich gefärbten Ersatz. Sie wollen die Vanille wieder würzen und entfärben.

Kehre zu dem Löffel zurück, der jetzt in deinem Mund geschmolzen ist. Spüren Sie mit Ihrer Zunge nach seinen organischen Energien, seiner ganzen Bandbreite an Schattierungen und Farben und Kulturen. Kannst du seine ungewaschene Geschichte schmecken, seine ganze Palette an verborgenen Geheimnissen und Leiden? Wenn das Vanilleeis deine Kehle hinunterrinnt, welche Farbe hat es dann?

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