Juli 2015

Marilyn Enock

Das National Institute on Deafness and Other Communication Disorders (2015) stellt auf seiner Website die folgenden Statistiken vor:

  • Ungefähr 2 Prozent der Erwachsenen im Alter von 45 bis 54 Jahren haben einen behindernden Hörverlust. Die Rate steigt auf 8,5 Prozent bei Erwachsenen im Alter von 55 bis 64 Jahren. Fast 25 Prozent der 65- bis 74-Jährigen und 50 Prozent der 75-Jährigen und Älteren haben einen behinderungsbedingten Hörverlust.

Ich bin immer wieder überrascht, wenn Patienten (manche in ihren 80ern oder 90ern) in meine Praxis kommen und mir sagen, dass sie noch nie ein Hörscreening oder einen Hörtest gemacht haben. Die Centers for Disease Control and Prevention (2015) schätzen, dass von den 29,1 Millionen (9,3 % der) Amerikanern mit Diabetes im Jahr 2012 8,1 Millionen nicht diagnostiziert wurden. Als Hörgeräteakustiker müssen wir auf nicht diagnostizierte Hörprobleme aufmerksam sein. Manchmal können wir die Anfänge eines Stoffwechselproblems auch in den Ergebnissen eines einfachen Reinton-Tests erkennen, dem Audiogramm, das wie ein „Keksbiss“ aussieht.

Hörverlust und Diabetes sind sehr häufige Erkrankungen, von denen weltweit viele Millionen Menschen betroffen sind. Eine große Studie (Bainbridge, Hoffman, & Cowie, 2008) bestätigte einen engen Zusammenhang zwischen Hörverlust und Diabetes. Sowohl Diabetes als auch Hörverlust sind Gesundheitszustände, auf die man leicht und schnell testen kann. Leider bleiben diese Erkrankungen oft unentdeckt, bis der Patient einen „Zwischenfall“ hat, der eine Untersuchung erforderlich macht. Im Falle von Diabetes fühlt sich der Patient vielleicht unwohl und geht in die Notaufnahme. Bei einer Schwerhörigkeit bemerkt der Patient vielleicht zuerst, dass er Gespräche in geselliger Runde nicht verstehen kann.

Eine Fallgeschichte

Kommt Ihnen die folgende Geschichte bekannt vor?

Mein Patient – ich werde ihn Joe nennen – war Mitte 40. Er fühlte sich schon seit einiger Zeit nicht mehr wohl, hatte aber Schwierigkeiten, seine medizinischen Probleme genau zu benennen, damit er Hilfe bekommen konnte. Er hatte Stimmungsschwankungen. Er fühlte sich oft schwindlig und desorientiert. Außerdem hatte er häufig Durst. Er wusste an jedem Ort, an dem er war, wo sich die Toiletten befanden, weil er mindestens jede Stunde eine benutzen musste. Auch nachts musste er oft auf die Toilette gehen, was seinen Schlaf störte.

Eines Tages, nachdem er seit 3 Jahren unter diesen Symptomen litt, reiste Joe zu seinen Kindern. Nach einer 6-stündigen Fahrt setzte er sich zum Abendessen zu seiner Familie und stellte fest, dass er nach ein paar Bissen keinen Appetit mehr hatte. Innerhalb von 15 Minuten traten bei ihm grippeähnliche Symptome auf. Er fühlte sich fiebrig, und sein Körper schmerzte. Er dachte, er könnte einen Virus haben, und ging ins Bett. Zwei Stunden später ging es ihm noch schlechter. Man schlug ihm vor, sich in eine Notfallambulanz zu begeben. Nachdem eine Reihe von Tests durchgeführt worden waren, kam der Arzt des Zentrums, um Joe zu untersuchen. In einem sachlichen Tonfall sagte er: „Sie haben Diabetes“. Joe stand unter Schock. Er wusste nur sehr wenig über Diabetes und dachte, dass er an dieser Krankheit schnell sterben würde. Er erhielt keine weiteren Informationen über Diabetes, sondern nur die Anweisung, nach seiner Rückkehr nach Hause seinen Hausarzt aufzusuchen. Zu Hause nahm Joe mit Hilfe seines Arztes, eines Endokrinologen und eines Ernährungsberaters seinen Diabetes mit Medikamenten (Tabletten), Diät und Bewegung in den Griff.

Einige Jahre später bemerkte Joe, dass er Schwierigkeiten hatte, Sprache in lauter Umgebung zu verstehen. Seine Gefühle waren klassisch für Menschen, die an Hörverlust leiden. Er fühlte sich bei gesellschaftlichen Anlässen peinlich berührt. Er wurde von anderen darauf hingewiesen, dass er manchmal Wörter falsch verstand. Er fühlte sich unwohl, weil er wusste, dass er in Gruppensituationen wichtige Informationen verpasste. Ein Audiogramm zeigte einen Hörverlust in den tiefen und hohen Frequenzen, während das Gehör in den mittleren Frequenzen normal war. Die Form dieses Audiogramms deutete auf eine Stoffwechselerkrankung hin.

Es gibt verschiedene Arten von Diabetes. Bei Typ 1 handelt es sich im Allgemeinen um eine Autoimmunreaktion, bei der der Körper nicht genügend Insulin produziert. Infolgedessen muss der Patient täglich Insulin einnehmen, je nach Bedarf des Körpers. Typ 1 betrifft in der Regel Kinder und junge Erwachsene. Typ 2 tritt auf, wenn der Körper nicht genügend Insulin produziert oder das produzierte Insulin nicht wirksam verwerten kann. Typ 2 betrifft in der Regel Erwachsene. Etwa 90 bis 95 % der Menschen mit Diabetes haben Typ 2. Diabetes beeinträchtigt die Kreislaufsysteme im gesamten Körper und verursacht fortschreitende und/oder dauerhafte Schäden. Er ist eine der Hauptursachen für Herzinfarkte, Schlaganfälle, Amputationen der unteren Gliedmaßen, Nierenversagen und Hörverlust. In einem Artikel über Typ-2-Diabetes und Hörverlust (Hong, Buss, & Thomas, 2013) stellen die Autoren fest, dass mehr als 8 % der amerikanischen Bevölkerung an Typ-2-Diabetes erkrankt sind, dass die Krankheit immer häufiger auftritt und dass bis zum Jahr 2050 jeder dritte Amerikaner an Diabetes leiden wird.

In jüngster Zeit hat es großes Interesse daran gegeben, herauszufinden, wie sich Diabetes auf das Hörsystem auswirkt und welche Rolle es bei der Entstehung von Hörverlust spielt. Ein Teil der aktuellen Forschung zielt darauf ab, die Auswirkungen einer verminderten Blutzufuhr zu allen Teilen des Gehörs zu erforschen. Die in der Bevölkerung mit Typ-2-Diabetes am häufigsten auftretende Form des Hörverlusts ist die Presbyakusis – ein beidseitiger Hochton- und Schallempfindungs-Hörverlust. Der Verlust ist dauerhaft und schreitet in der Regel fort. Audiogrammergebnisse aus großen Populationen von Diabetikern haben gezeigt, dass der Hörverlust sowohl niedrige als auch hohe Frequenzen betreffen kann, was zu einem „Cookie-Bite“- oder metabolischen Audiogramm führt.

Erhöhte Blutzuckerwerte (Frisina, Mapes, Kim, Frisina, & Frisina, 2006) können chemische Veränderungen verursachen, die das Nervensystem beeinflussen. Infolgedessen ist die Fähigkeit des Nervensystems, normale Tonsignale an das Gehirn zu senden, reduziert. Bainbridge und Kollegen (2008) untersuchten die Daten einer großen Bevölkerungsgruppe, um die epidemiologischen Ursachen von diabetesbedingtem Hörverlust in den Vereinigten Staaten zu untersuchen. Audiometrische Daten wurden von 1.508 Patienten im Alter von 40 bis 69 Jahren erhoben. Der HbA1c-Test für Diabetiker (glykosyliertes Hämoglobin) wurde verwendet, um festzustellen, wie gut der Diabetes eingestellt war und welche Patienten sich im Normalbereich befanden. Beim HbA1c-Test werden die Blutzuckerwerte der letzten 3 Monate untersucht. Ein Wert unter 7,0 gilt als normal oder gut eingestellt. Werte über 7,0 weisen auf ein erhöhtes Risiko für Komplikationen hin. Die Patienten wurden bei reinen Tonfrequenzen von 500Hz und 1000-8000kHz getestet. Bei den Diabetikern war die Wahrscheinlichkeit, einen Hörverlust zu entwickeln, doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe, wobei der Verlust mit zunehmendem Alter der Patienten deutlich zunahm.

Das ideale Behandlungsteam

Aufgrund der Komplexität der Behandlung von Diabetes ist es wichtig, ein Behandlungsteam für diese Patienten zusammenzustellen. Das ideale Behandlungsteam besteht aus einem Hausarzt, einem Endokrinologen, einem Kardiologen, einem Audiologen, einem Sprachtherapeuten, einem Augenarzt, einem Podologen, einem Psychologen, einem Diabetesberater und einem Bewegungstrainer, um eine weitere Verschlechterung des Diabetes und die daraus resultierenden Komplikationen zu verhindern. Leider werden Audiologen und Sprachpathologen in der Regel nicht in das Behandlungsteam einbezogen.

Bedeutung der Behandlung

Es ist äußerst wichtig, dass der Patient seinen Diabetes selbst in die Hand nimmt. Hörverlust betrifft im Allgemeinen immer mehr Menschen im Alter; dies gilt insbesondere für Diabetiker. Ebenso wie die jährliche Routineuntersuchung der Augen sollten Patienten mit Diabetes jährlich routinemäßige Hörscreenings/-tests durchführen lassen. Die Ergebnisse sollten an das übrige Behandlungsteam des Patienten weitergeleitet werden, damit die Versorgung koordiniert werden kann. In einer klinischen Studie (Sunkum & Pingile, 2013) betonten die Autoren, dass Diabetiker mehr Probleme haben, nicht nur die Krankheit im Laufe der Zeit zu kontrollieren, sondern auch einen Hörverlust zu vermeiden, der vor allem dann beschleunigt wird, wenn der Blutzucker nicht mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, Ernährung und Bewegung unter Kontrolle gehalten wird. Lin (2012) fand heraus, dass Patienten mit Hörverlust, die unbehandelt blieben, häufiger Demenz entwickelten als die Kontrollgruppe. Im Vergleich zu Menschen ohne Hörverlust war die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, bei Menschen mit leichtem Hörverlust doppelt so hoch, bei Menschen mit mittlerem Verlust dreimal so hoch und bei Menschen mit schwerem Verlust fünfmal so hoch. Da Menschen mit Diabetes häufiger einen Hörverlust entwickeln, sollte der Audiologe ein wichtiges Mitglied des Behandlungsteams des Patienten sein.

Als Teil der Erstanamnese sollten Audiologen und Sprachpathologen neue Patienten immer fragen, ob sie Diabetes haben. Wenn die Antwort „ja“ lautet, sollten die Patienten gefragt werden, ob ihr Diabetes unter Kontrolle ist und wie hoch ihr HbA1c-Wert zuletzt war. Es ist wichtig, eine aktuelle Medikamentenliste in der Patientenakte aufzubewahren. Es sollten Fragen zur medizinischen Familienanamnese gestellt werden. Weiß der Patient, ob Großeltern, Onkel, Tanten, Schwestern oder Brüder Diabetes haben? Unser Patient Joe erkannte, dass seine verstorbenen Eltern Diabetes gehabt haben könnten. Beide hatten unter Stimmungsschwankungen gelitten und waren von einem Moment auf den anderen wütend und aufgebracht. Beim Essen, im Wohnzimmer oder im Auto schliefen sie plötzlich ein. Sie waren nie auf Diabetes getestet oder diagnostiziert worden.

Diabetiker mit Hörverlust, die 50 Jahre oder älter sind, müssen getestet und mit Hörgeräten versorgt werden. Nach der Anpassung von Hörgeräten sollte gegebenenfalls eine auditorische Rehabilitation durchgeführt werden. Das Team sollte auch in die Beratung einbezogen werden, damit der Patient aktiver an seiner Versorgung mitwirken kann. Ein unbehandelter Hörverlust kann zu Stimmungsschwankungen führen, die sich als Traurigkeit, Depression und Paranoia äußern (unveröffentlichte Beobachtung). Menschen mit Hörverlust können sozial isoliert, emotional verunsichert und leicht verärgert werden. Wenn sie plötzliche Geräusche hören, z. B. eine Person, die sich von hinten nähert, erschrecken Patienten mit Hörverlust leicht. Die richtige Verstärkung hilft dem Patienten, Umgebungsgeräusche und Sprache deutlicher zu hören, was zu weniger Irritationen, Ärger und Missverständnissen führt. Der Patient sollte auch über die Verwendung eines Gehörschutzes bei sehr lauten Geräuschen beraten werden (z. B. bei Konzerten oder gesellschaftlichen Veranstaltungen oder bei kommerziellen Geräten wie Landschaftsgärtnern und Schneeräumern).

Da so viele Menschen von den gemeinsamen Erkrankungen Schwerhörigkeit und Diabetes betroffen sind, sollte die Öffentlichkeit verstärkt über die Behandlung und Kontrolle dieser Erkrankungen informiert werden. Vorsorgeuntersuchungen oder Hörtests sind leicht verfügbar, müssen aber besser bekannt gemacht werden. Es muss weiter erforscht werden, wie Diabetes, von dem man annimmt, dass er eine mikrovaskuläre Erkrankung ist, mit dem Hörsystem interagiert und es beeinflusst. Die Forschung muss auch unser Verständnis dafür vertiefen, wie das auditorische System auditorische Informationen verarbeitet und wie Diabetes das Gehör und die zentrale auditorische Verarbeitung beeinflusst. Patienten und Angehörige der Gesundheitsberufe müssen proaktiv handeln, um ein schnelleres Fortschreiten dieser Störungen zu verhindern. Das Ergebnis ist eine bessere Gesundheit und eine wesentlich höhere Lebensqualität.

Über die Autorin

Marilyn Enock, AuD, CCC-A, ist eine an der Julliard School of Music ausgebildete Geigerin. Sie erhielt ihren BA vom Hunter College in New York. Ihren MS in Kommunikationswissenschaften (Audiologie) erwarb sie an der Universität von Pittsburgh. Ihr Doktortitel stammt von der A. T. Still University of Health Sciences. Sie ist seit 1970 im Bereich der Hörgesundheit tätig. Im Jahr 1999 eröffnete sie ihre Privatpraxis A Better Hearing Experience in Pittsburgh, Pennsylvania, die sie weiterhin betreibt. Kontaktieren Sie sie unter [email protected].

Bainbridge, K., Hoffman, H., & Cowie, C. (2008). Diabetes und Schwerhörigkeit in den Vereinigten Staaten. Annals of Internal Medicine, 149, 1-10.

Frisina, S., Mapes, F., Kim, S., Frisina, D., Frisina, R. (2006). Charakterisierung von Hörverlust bei älteren Typ-II-Diabetikern. Hearing Research, 211, 103-113.

Hong, O., Buss, J., & Thomas, E. (2013). Typ-2-Diabetes und Hörverlust. Disease-a-Month, 59, 39-46.

Lin, F. (2012). Hearing loss in older adults-who’s listening? Journal of the American Medical Association, 307(11), 1147-1148.

National Institute on Deafness and Other Communication Disorders. (2015). Quick statistics. Abgerufen von www.nidcd.nih.gov/health/statistics/Pages/quick.aspx.

Sunkum, A., & Pingile, S. (2013). Eine klinische Studie zum audiologischen Profil bei Patienten mit Diabetes mellitus. European Archives of Otorhinolaryngology, 270, 875-879.

U.S. Centers for Disease Control and Prevention. (2015). 2014 national diabetes statistics report. Abgerufen von www.cdc.gov/diabetes/data/statistics/2014StatisticsReport.html.

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