Worauf basiert die Geschichte von „König der Löwen“ eigentlich? Die Antwort ist wahrscheinlich nichts, aber viele Leute werden sagen, es sei ein kleines Stück namens Hamlet. Die Sache ist, dass sie falsch liegen. Die Behauptung, der König der Löwen basiere nur auf William Shakespeares Stück Hamlet, verkennt völlig, was Hamlet zu Hamlet macht. Hier ist der Grund dafür.
Die meisten Eltern haben eine seltsame Beziehung zu den Geschichten, die wir als Kinder geliebt haben. Ganz gleich, ob wir uns vor Prinzessinnengeschichten fürchten oder uns über die versteckten Botschaften in klassischen Märchenbüchern wundern, viele Eltern neigen dazu, die Bücher, das Fernsehen und die Filme, die wir als Kinder verschlungen haben, zu hinterfragen, sobald unsere eigenen Kinder da sind. Das kann zu unschuldigen Fragen führen wie: War der X-Men-Zeichentrickfilm so gut, wie ich ihn in Erinnerung habe? (Ja) Oder: Ist Mary Poppins rassistisch? (Irgendwie schon.) Aber all dieses Herumstöbern in Kindergeschichten kann auch dazu führen, dass man sich fragt, woher die Geschichten überhaupt kommen. Das führt uns zurück zu Der König der Löwen.
Nach einer Reihe von Hits, die 1989 mit Die kleine Meerjungfrau begann, war Der König der Löwen 1994 der erste große Disney-Zeichentrickfilm, der nicht – auch nur lose – auf einem bestehenden Märchen, Mythos oder einer Geschichte basierte. Stattdessen wurde Simbas Bestreben, sein Tierreich von seinem bösen Onkel Scar zurückzuerobern, scheinbar aus dem Grundkonflikt von Shakespeares Hamlet abgeleitet. Wenn man die Frage „Worauf basiert der König der Löwen?“ googelt, lautet die Antwort mit überwältigender Mehrheit „Hamlet“. Aber das ist aus zwei Gründen ein großes Missverständnis von Hamlet.
Erstens ist die Behauptung, der König der Löwen basiere auf Hamlet, eine oberflächliche Feststellung. Hier sind die wichtigsten Ähnlichkeiten zwischen dem König der Löwen und Hamlet. Bereit?
- Ein Prinz, der theoretisch König werden könnte, bekommt sein Königreich von einem Onkel weggenommen, der den König, den Vater des Prinzen, getötet hat.
- Der Prinz verlässt irgendwann das Königreich.
- Die Nebenfiguren sorgen für komische Abwechslung.
- Der Geist des Vaters des getöteten Königs spricht zu dem jungen Prinzen.
- Am Ende sterben alle.
Sie sehen schon die Probleme. Nur weil Scar Mufasa auf die gleiche Weise tötet wie Claudias König Hamlet, macht das die Geschichte thematisch nicht analog, es bedeutet nur, dass ähnliche Dinge passieren. Ja, Timon und Pumbaa haben große Ähnlichkeit mit den Hamlet-Figuren Rosencrantz und Guildenstern, aber das gilt auch für R2-D2 und C-3PO in Star Wars. (Wer echte Shakespeare- und Tom-Stoppard-Anspielungen sucht, sollte sich den längst vergessenen Videofilm Lion King 1 & 1/2 aus dem Jahr 2004 ansehen, der ganz offen so tut, als sei er ein Shakespeare-Film. Die frühen achtziger Jahre waren wild!) Der Punkt ist, dass es sich um oberflächliche Ähnlichkeiten handelt, die den Aufbau der Handlung betreffen, aber nichts mit dem Ziel der Geschichte zu tun haben. In der Geschichte von Hamlet geht es nicht wirklich um einen großäugigen Wanderer, der sein Königreich zurückerobert: Es geht um einen ziemlich arroganten Kerl, der die Kurve kriegt.
In Hamlet hat der titelgebende junge Prinz überhaupt keine Ähnlichkeit mit Simba, denn er ist weder sympathisch noch ein Held. Er stirbt übrigens auch am Ende, und seine Freundin Ophelia ertränkt sich. Erinnert ihr euch an die Szene in beiden Versionen von König der Löwen, in der sich Nala ertränkt, weil Simba seinen Scheiß nicht auf die Reihe kriegt? Ja, das weißt du nicht.
Was uns zum zweiten Punkt bringt, in dem der König der Löwen nichts mit Hamlet gemein hat. Sprechen wir über die kleine Szene, in der Timon, Pumbaa und Simba auf den Baumstämmen laufen? Sie wissen, dass dies die Szene ist, die den Lauf der Zeit demonstriert: In weniger als 15 Sekunden wird Simba von einem Löwenjungen zu einem echten König der Löwen. Nun, diese 15 Sekunden, dieser Moment, in dem aus einem kleinen ungestümen Jungtier ein ungestümer junger Erwachsener wird – diese 15 Sekunden, das ist Hamlet. In dem Stück geht es um Selbstbeobachtung und vielleicht darum, sich in der Selbstbeobachtung zu verlieren. In Der König der Löwen wird der Geist von Hamlets Vater nicht nur von Hamlet, sondern auch von Horatio in Frage gestellt. Im König der Löwen ist der Geist von Mufasa einfach nur der Geist von Mufasa. Wenn man also die Augen zusammenkneift, könnte Black Panther einen kleinen Teil seiner Handlung dem König der Löwen verdanken, was gar nicht mal so schlecht ist, aber zu behaupten, dass tote Väter, die lebende Söhne bitten, ihr Königreich zu rächen, immer mit Hamlet gleichzusetzen, ist einfach falsch. Das Gespenst in Hamlet ist vielschichtiger als das Gespenst in König der Löwen, genauso wie Hamlets Reise vielschichtiger ist, als einfach nur über einen Baumstamm zu laufen und plötzlich erwachsen zu sein.
Wenn überhaupt, dann geht es in Hamlet um „das unentdeckte Land“, was in dem Stück ziemlich eindeutig eine Metapher für den Tod ist. Auch in Hamlets berühmtester Rede „Sein oder Nichtsein“ geht es um die Betrachtung des Todes und die Frage, ob das Leben im Angesicht des Todes überhaupt einen Sinn hat. In Der König der Löwen hält Simba nicht den Schädel von Pumbaa und sagt: „Ach, armer Pumbaa, ich kannte ihn als Rafiki!“ Denn wenn er so etwas tun würde, dann wäre der König der Löwen viel mehr wie Hamlet, als er ist. Wenn der König der Löwen den Tod umarmen würde, dann wäre er Hamlet. Aber es ist das Gegenteil.
Das größte und beste Lied in König der Löwen ist „Der Kreis des Lebens“. Genau darum geht es in dem Film. Wenn Disney einen neuen Remix mit dem Titel „The Circle of Death“ einbaut, dann glaube ich, dass der König der Löwen auf Hamlet anspielt. Aber bis das passiert, kann man mit Sicherheit sagen, dass der König der Löwen eine bekannte Geschichte erzählt, die einfach funktioniert. Und sie funktioniert am besten, wenn man Shakespeares Geist weit außerhalb des Dschungels lässt.
